Kapitel 13
Am nächsten Tag erwachte Sophie, bevor es draußen richtig hell war. Sie kletterte aus dem Bett und betrachtete durch das Fenster die ersten grauen Lichtstrahlen des Tages. Was macht man am Morgen der eigenen Hochzeit? Schlafen, würde ihre Mutter sagen. Schlafen, damit man so gut wie möglich aussieht. Aber Sophie konnte nicht schlafen.
Ihr Herz raste vor Aufregung. Sie lehnte sich auf das Fensterbrett, über das Patrick ihr Zimmer betreten hatte, und sagte sich zum tausendsten Male, dass sie das Richtige tat. Wenn sie genauer hinsah, konnte Sophie die schwachen Kratzspuren sehen, die die Leiter auf dem Holz hinterlassen hatte.
Zwei Männer rumpelten in einem großen offenen Wagen vorbei. Die Unratmänner verließen London mit ihrer Ladung Dünger. Die Stadt erwachte; unten in Covent Garden breiteten die Obsthändler gerade ihre Waren aus und in Spitalfields eröffneten die Vogelhändler ihre Stände. Als kleines Mädchen hatte Sophie sich immer gerne die Gold- und Grünfinken, die Hänflinge und die Heidelerchen angesehen. Heute schnürte ihr der Gedanke an die kleinen Käfige den Hals zu und trieb ihr die Tränen in die Augen.
»Sei nicht dumm, du Närrin!«, flüsterte sie sich selber zornig zu. Manche Ehen gehen gut, manche nicht. Welches Recht hatte sie, ihre Vermählung zu dramatisieren, als wäre sie Julia, die gezwungen wurde, Paris zu heiraten?
Sophie schlang die Arme um ihren Körper und presste sie durch den dünnen Kambrikstoff ihres Nachtgewandes gegen ihre Brüste. Aber sie wollte ihn. Sie wollte Patrick Foakes so sehr, wie Julia Romeo gewollt hatte. Wahrscheinlich sogar noch mehr, da sie noch vor der Vermählung mit Patrick mit ihm eine Nacht voller Sinnesfreuden erfahren hatte.
Weshalb machte sie sich eigentlich Sorgen? Sophie beugte sich vor, legte die Stirn gegen das kalte Glas und beobachtete aufmerksam das Geschehen auf der Straße. Zwei robuste Lieferwagen bogen um die Ecke und steuerten vorsichtig in die Gasse hinein, die an Brandenburg House vorbeiführte. Der erste Phaeton des Tages klapperte die Straße entlang.
Wäre dies ein ganz normaler Morgen, hätte Sophie nach einer heißen Schokolade geklingelt und zwei Stunden an ihrem Tisch gearbeitet, bevor sie sich ein Bad zubereiten ließ. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, sich an das Studium der türkischen Verben zu machen, aber dann hörte sie erneut die zornigen Worte ihrer Mutter. Kindische Beschäftigungen gehören nicht in eine Ehe. Während sie hinausschaute, stürzte die Haushälterin vor die Tür und prüfte kritisch das Gemüse des Händlers, der vor dem Haus seinen Karren angehalten hatte.
Mama war genauso peinlich berührt wie ich, dachte Sophie, die immer noch Stirn gegen die kühle Scheibe presste. Aber sie hat mir einen guten Rat gegeben. Falls es Patrick stören könnte, dass ich mehrere Sprachen beherrsche, dann darf er es nie erfahren. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, Patrick nicht in ihrem Bett willkommen zu heißen und mit glühenden Wangen verwarf Sophie ganz schnell diesen Ratschlag ihrer Mutter.
Der Schlüssel lag darin, Patrick niemals wissen zu lassen, dass sie inzwischen eine dumme tendresse, eine Gefühl der Liebe für ihn empfand. Wenn Patrick die Wahrheit nicht kannte, dann konnte sie mühelos die Rolle der weltgewandten Frau spielen, die ihrem Mann unbekümmert dabei zusah, wie er kam und ging. Aber sollte erje herausfinden, dass sie ihn liebte - der Gedanke an diese Blamage ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.
»Ich werde es nie sagen«, flüsterte Sophie, und unter ihrem Atem beschlug die Fensterscheibe für einen Moment. Dieser Gedanke gab ihr ein wenig Trost. Plötzlich bemerkte sie, dass ihre Zehen eiskalt waren. Sie rannte über den warmen Teppich zurück zu ihrem Bett und kuschelte sich unter die Decke.
Als Sophie das nächste Mal erwachte, fielen bereits breite goldene Sonnenstrahlen auf die Rosenranken im Muster ihres Teppichs. Sophie drehte sich um und blinzelte verschlafen zum Baldachin ihres Bettes hinauf. Sie hatte auf Italienisch geträumt, was ihr nicht mehr passiert war, seit sie die Sprache vierjahre zuvor erlernt hatte. Es war ein seltsamer kleiner Traum, der ihr entglitt, sobald sie versuchte, ihn zu greifen. Es hatte etwas mit einem Maskenball zu tun, auf dem sie als Zigeunerin verkleidet teilnahm und einen Strohhut trug, den sie unter dem Kinn verknotet hatte. Sophie zog eine Grimasse. Der heutige Tag war ebenfalls der Beginn einer Art Maskerade. Sie streckte die Hand aus und zog an der Klingel neben ihrem Bett. Dann schwang sie erneut die Beine aus dem Bett.
Eloise York spürte ein behagliches Gefühl von Zufriedenheit in der Magengrube, als sie unauffällig die zahlreichen vornehmen Menschen musterte, die sich am Mittwochnachmittag um drei Uhr in der St. George's Chapel eingefunden hatten. Sie hatte jeden Verwandten hervorgekramt, den sie und George überhaupt hatten, und anschließend das Gleiche bei Patrick Foakes' Familie getan auch wenn diese nur aus seinem Bruder Alex, einem Onkel und einer Tante bestand. Doch obwohl seine Verwandten zahlenmäßig nicht so gewichtig waren, so konnte man sie dennoch nicht übersehen. Patricks Onkel würde die Trauung vollziehen und seine Tante, Henrietta Collumber, nahm einen Ehrenplatz neben der Brautmutter ein.
»Hören Sie auf, sich ständig umzuschauen, Eloise«, sagte Henrietta mit der Ungezwungenheit einer etwas bärbeißigen Frau, die die Siebzig schon lange hinter sich gelassen hatte. »Sie sind alle hier, keine Bange. Halten es wahrscheinlich für die Liebesheirat des Jahrhunderts!« Sie gackerte wie ein Huhn.
Eloise musterte Henrietta mit einem heftigen Gefühl der Abneigung. Konnte sie es riskieren, der alten Vettel einen Dämpfer zu verpassen? Nein. Stattdessen wandte Eloise den Kopf wieder dem Altar zu. Sie hatte zu ihrer Erleichterung erfahren, dass der Graf von Slaslow standhaft zu Patrick hielt. Das dürfte den Klatschmäulern den Mund stopfen! Slaslow sah zwar ein wenig verdrießlich aus, aber er war im Allgemeinen ein griesgrämiger Typ. Und je länger sie darüber nachdachte, desto deutlicher erkannte sie, dass Sophie mit Patrick Foakes eine bessere Wahl getroffen hatte.
Patrick, der zusammen mit seinem Zwillingsbruder vor dem Altar stand, wirkte völlig gelassen. Im Gegensatz zu Braddon, der nervös von einem Fuß auf den anderen trat und an seiner Weste zerrte, sahen die zwei Foakes-Brüder aus, als könne sie nichts erschüttern.
Wie immer vor dem Einzug der Braut in die Kirche entstand auch in diesem Moment in der Kapelle zuerst absolute Stille. Anschließend ging ein leises Raunen durch die Reihen. Dann trat Sophie, die Hand leicht auf den Arm ihres Vaters gelegt, zwischen den Seitenpfeilern hervor.
Eloise hatte sie überredet, Weiß zu tragen, und als Sophie ruhig neben ihrem Vater auf den Altar zuschritt, schimmerte ihr Kleid blass im Licht des Spätnachmittags und sie wirkte unschuldig, zerbrechlich und beinah überirdisch. Niemand würde glauben, dass dies eine junge Frau war, die Skandale anzog wie ein Magnet. Selbst der Boshafteste würde zögern, Spekulationen über die übereilte Trauung anzustellen. Sophies Haar ergoss sich wie eine glänzende Flut über ihren Rücken und wurde nur von cremefarbenen Rosenknopsen verziert, die zwischen die bernsteinfarbenen Locken gesteckt waren. Sie war die Schneeprinzessin aus einem russischen Märchen, die unschuldige Fee aus einer irischen Liebesgeschichte.
Ihr Kleid war aus einem schimmernden, elfenbeinfarbenen Satinstoff geschneidert, der unter dem Oberteil gerafft und mit einem glänzenden Überkleid bedeckt wurde, das sich auf dem Rücken zu einer Schleppe auswuchs. Die Ärmel waren kurz, das Oberteil züchtig, und Sophie trug lange Satinhandschuhe. Als Madame Carême ihr das Kleid zeigte, hatte Sophie sich beschwert, sie würde wie eine richtige Matrone aussehen.
Es war wohl tatsächlich das konservativste Kleid, in dem Eloise Sophie seit deren Debüt gesehen hatte. Aber die Näherinnen von Madame Carême hatten unermüdlich gearbeitet, um ihm den entscheidenden Touch zu geben, der das Kleid zu einer unvergesslichen Kreation machte. Madame hatte goldfarbene Brüsseler Spitze an das Oberteil, sowie an das Überkleid und an die fließende Schleppe nähen lassen. Die Spitze liebkoste Sophies zarte, weiße Haut und betonte die Rundungen ihrer Brüste und die Form ihre langen, schlanken Beine.
Bei Gott, Madame Carême wusste, wie man eine Frau betörend aussehen ließ. Die goldfarbene Spitze hob Sophies Haar hervor und verlieh ihr das Aussehen einer bezaubernden, aus Gold und Elfenbein gefertigten lkone. Natürlich wie eine blasphemische lkone. Kein Mann in der Kirche betrachtete sie mit Ehrfurcht; das lüsterne Verlangen, das in ihren Lenden aufstieg, ließ für solch eine züchtige blutleere Reaktion keinen Platz. Trotz der elfenbeinfarbenen Seide und Sophies cremigweißer Haut zeugten ihre rosigen Wangen davon, dass ihr das Blut durch die Adern pulsierte und sie sehr wohl lebendig war. Sie zeugten von heidnischer Lebenslust in freier Natur, fernab der Kirche, von Sinnesfreuden im Bett, fernab der Gruft.
Patrick stockte der Atem, als Sophie auf ihn zukam, ohne seinem Blick zu begegnen. Sie hob die Augen erst, als sie und der Marquis den Altar erreichten.
Dann, für einen kurzen Augenblick, trafen sich ihre Blicke und sie errötete und schaute auf die Rosen in ihrer Hand hinunter. Ein Lächeln umspielte Patricks Lippen, aber angesichts der eindringlichen, sehnsuchtsvollen Hitze, die in seinem Körper aufstieg, verging ihm das Lachen.
Zumindest wusste er genau, warum er sich vermählte. Er hatte noch nie zuvor solch ein tiefes Verlangen verspürt, wie er es unablässig für Sophie York empfand, und das würde er auch nie wieder. Ohne Aufforderung des Geistlichen nahm er ihre schmale Hand in seine.
Bischof Foakes warf seinem Neffen unter buschigen Augenbrauen einen tadelnden Blick zu. Er hatte aus Respekt vor Patricks totem Vater, seinem Bruder, zugestimmt, die Trauung zu vollziehen. Die Burschen hatten Sheffie weiß Gott viel Kummer bereitet. Aber Richard war überzeugt, dass Sheffie glücklich gewesen wäre, an diesem Tag dabei zu sein. Richard hatte seinem Bruder immer wieder geraten: Verheirate die beiden und sie werden ruhiger werden. Nicht, dass Sheffie sich daran gehalten hätte. Nein, er hatte die Zwillinge auf den Kontinent und in den Nahen Osten verfrachtet, statt sie in solide Eheverträge zu binden. Es war ein ungeheures Glück, dass die Burschen gesund und munter wieder zurückgekehrt waren. Sein Bruder hatte sie jedoch vor seinem Tod nicht wieder gesehen, erinnerte sich Richard in diesem Moment.
Nun, es war Zeit, mit der Zeremonie zu beginnen. Richard rückte verstohlen seinen Bischofshut zurecht. Er rutschte häufig nach hinten und sah dann aus wie ein sturmgepeitschtes Schiff.
»Liebe Gemeinde«, sagte Richard, »wir sind heute hier vor dem Anblick Gottes versammelt ...«
Sophie begann zu zittern wie ein Blatt im Wind, als die tiefe Stimme des Bischofs sie aus einem traumartigen Zustand riss. Ihre Hand steckte in Patricks großer Hand und diese Berührung löste in Sophie eine Woge des Verlangens nach ihm aus. Vor diesem Gefühl wäre sie am liebsten aus der Kirche geflohen. Sie sah ein tristes, freudloses Leben vor sich, das von der Sorge und der Scham gekennzeichnet war, dass sich ihr Mann mit anderen Frauen vergnügte.
Während Richard die allgemein bekannten Worte des Ehegelöbnisses verlas, bemerkte er, dass der Bräutigam immer noch die Hand der Braut hielt. Nun ja, die Gäste würden es wahrscheinlich als romantische Geste auslegen und es war bei Gott unerlässlich, dass sie den romantischen Aspekt betonten, um diese Vermählung ohne Skandal über die Bühne zu bringen.
Der Bischof richtete seine Aufmerksamkeit auf seinen Neffen. Überrascht bemerkt er Patricks sardonisch geschwungene Augenbrauen, die ihm beinah bis zum Haaransatz reichten. Sogar an diesem heiligen Ort macht der junge einen zynischen Eindruck, dachte der Bischof.
Schließlich wandte er sich mit den Worten: »Willst du diesen Mann zu deinem angetrauten Mann nehmen, mit ihm leben ...« an Sophie. Aber in Sophies Kopf wirbelten Bilder ihrer weinenden Mutter umher. Plötzlich hallten all die Lügen in ihrem Kopf wider, die sie ihrem Vater zuliebe über seinen Aufenthaltsort erzählt hatte. Es waren hässliche Abbilder einer zerstörten Ehe, die durch Lügen ruiniert und zusammengehalten wurde. Sie blickte zu Patrick hoch und ihre Augen stellten ihm eine qualvolle, unausgesprochene Frage.
Patricks Hand schloss sich fester um ihre, beinah so, als würde er ihre Gedanken kennen. Seine Augen lächelten sie an; jene schönen schwarzen Augen mit den kleinen, durch die Sonne entstandenen Falten in den Augenwinkeln. Sophie straffte die Schultern und sagte deutlich: Ach will.«
Nun, zumindest scheint Patrick in eine gute Familie einzuheiraten, dachte Richard. Er musterte beifällig Sophies bleiches Gesicht und zitternden Finger, als sie auf das Gebetbuch schwor. Bräute sollten schüchtern und klein wirken, das waren die besten. Richard schlug das Gebetbuch zu und bemerkte plötzlich, dass er bereits die ganze Zeremonie hinter sich gebracht hatte.
»Ich ernenne euch hiermit zu Mann und Frau«, sagte er und rückte mit einer beherzten Geste seinen Hut zurecht.
Sophies Lippen bewegten sich, brachten jedoch keinen Ton heraus.
Richard runzelte die Stirn. Konnte es sein, dass die errötende, zitternde Braut gerade »Merde« gemurmelt hatte? Nein, sicherlich nicht. Sie sah so schmal und elegant aus und schien gar nicht fähig, in irgendeiner Sprache zu fluchen. Richard lächelt das Paar, das vor ihm stand, jovial an. »Du darfst die Braut nun küssen«, sagte er zu Patrick.
Patrick drehte Sophie zu sich herum. Er war sehr zufrieden mit sich und hatte bei der ganzen Transaktion ein sehr gutes Gefühl. Er hatte das gleiche Gefühl gehabt, als er seinen Baltimore Klipper von dieser neuen amerikanischen Gesellschaft kaufte. Das Schiff hatte einen Wirbelsturm vor der Küste Trinidads überstanden und befand sich inzwischen auf seiner fünften Reise.
Sophie blickte zu ihm auf und ihre blauen Augen waren so dunkel, dass sie beinah schwarz wirkten. Einen Moment lang war Patrick überrascht über den enormen Vorbehalt, den er darin entdeckte. Er zog seine Braut an sich und senkte den Kopf. Sophie lehnte passiv an seiner Brust und ihre Lippen waren kühl und teilnahmslos.
Oh, verdammt, dachte Patrick. Er musste Sophies Lippen einen romantischen Kuss entlocken, um die Ansicht zu nähren, dass hinter der kurzen Verlobungszeit wahre Liebe steckte. Er glitt mit seinen großen Händen über ihren Rücken und zog sie noch enger an sich, während seine Lippen sich fordernd auf ihre pressten. Plötzlich wurden Sophies Lippen weich und ihr Körper schmiegte sich nachgiebig an ihn. Ihr Atem war wie eine Liebkosung, die sein Blut zum Kochen brachte. Patricks Kopf schwamm und sein ganzer Körper stand in Flammen, als ihm eine Hitzewelle den Nacken hinaufschoss.
Als Mann und Frau sich voneinander lösten, blickten sie sich einen Moment lang an. Patrick war schockiert und sein Atem ging stoßweise. Sein Körper war sich jeder Facette von Sophies Körper schmerzhaft bewusst. Sophie konnte nur an die zügellose Art denken, mit der sie sich an Patrick gepresst hatte. War jemandem aufgefallen, dass ihr die Knie weich geworden waren?
In der Kirche entstand ein Tuscheln. Die Mitglieder der feinen Gesellschaft waren daran gewöhnt, dass sich die Paare flüchtig küssten und dann zum Klang der Trompeten auf das Portal zutrotteten, ohne Zeit darauf zu verschwenden, sich anzusehen.
»Oh je, ich könnte beinah glauben, dass es tatsächlich eine Liebesheirat ist«, sagte Lady Penelope Luster zu ihrer besten Freundin. »Schau dir nur an, wie er sie ansieht! Ich sage dir, ich falle gleich in Ohnmacht!«
»Oh, sei doch nicht so eine Närrin, Penelope«, erwiderte ihre Begleiterin mit einem leisen, aufgebrachten Kiekser in der Stimme. »Das ist der
gleiche Blick, den er ihr schenkte, als ich sie vor einem Monat bei meinem Ball erwischte, und ich sage dir, das hat nichts mit Liebe zu tun! Aber du weißt das natürlich nicht, denn du warst ja nie verheiratet.«
Penelope warf ihrer Freundin einen beinah hasserfüllten Blick zu. Was wusste Sarah Prestlefield schon von »Blicken«? Sie war eine korpulente alte Matrone über fünfzig, und Penelope wollte ihren Hut verspeisen, wenn Lord Prestlefield Sarah je auf die Art angesehen hatte, wie Patrick Foakes es gerade bei seiner frisch gebackenen Frau getan hatte. »Es ist mir egal, was du sagst, Sarah«, verkündete Penelope. »Für mich sehen sie aus wie das romantischste Paar auf Erden.«
Lady Prestlefield hob ihre Nase in einer Geste von offenkundigem Unglauben in die Höhe.
»Ich sage dir etwas, Sarah«, beharrte Penelope. »Nur ein Dummkopf würde annehmen, dass eine Frau, die klar bei Verstand ist, Slaslow Patrick Foakes vorziehen könnte.«
Sarah warf ihr erneut einen leidenden Blick zu. »Du bist wirklich eine Närrin, Penelope«, sagte sie unumwunden. »Slaslow ist ein Graf. Keine Frau, die klar bei Verstand ist, würde ihn wegen eines jüngeren Bruders laufen lassen, egal, wie reich Foakes auch sein mag.«
Das frisch vermählte Paar näherte sich ihrer Bankreihe, und die Art, in der Patrick Foakes den Arm seiner Frau in den seinen gelegt hatte und sie so dazu zwang, ganz dicht bei ihm den Gang entlangzuschreiten, bestärkte Penelopes Glauben an eine Liebesheirat.
Außerdem ging der Graf von Slaslow direkt hinter seiner ehemaligen Verlobten und seine leichte Ähnlichkeit mit einer Bulldogge ließ sie erschauern. Penelopes Meinung nach waren Patricks schwarzen Augen Braddons plumper Freundlichkeit eindeutig vorzuziehen. Reichtum und Titel hatten nichts mit dieser ... dieser Aura von Sinnlichkeit zu tun, die Patrick Foakes umgab.
»Schau dir das an«, sagte Lady Prestlefield. »Erskine Dewland kann wieder gehen. Ich dachte, die Ärzte hätten behauptet, er würde nie wieder das Bett verlassen können.«
Desinteressiert beobachtete Penelope, wie Erskine - seinen Freunden als Quill bekannt -, den Gang entlangkam. Dann drehte sie sich um, damit sie den frisch Vermählten noch einmal nachsehen konnte. Die großen Türen standen offen, und die Foakes' verharrten mit dem Rücken zur Kirche auf der obersten Marmorstufe. Ein winziger Sonnenstrahl traf Sophies schlanke Gestalt und verwandelte sie in eine goldene Flamme, während Patrick neben ihr wie ein düsterer Wintergott wirkte. Noch einmal beugte sich Patrick über seine Braut.
»Du kannst sagen, was du willst«, sagte Penelope Luster heftig zu ihrer engsten Freundin. »Aber ich werde immer behaupten, dass dies eine Liebesheirat war! Und ich habe nicht vor, je die Meinung eines anderen zu diesem Thema zu vertreten!«
Sarah blickte zur Seite und musterte Penelopes zusammengepresste Lippen. Penelope war die meiste Zeit ein sanftmütiger Mensch, aber wenn
sie sich eine Idee in den Kopf gesetzt hatte, dann klammerte sie sich daran fest wie ein Köter an einen Knochen.
»Is tja gut, Penelope, ist ja gut«, flüsterte Sarah und tätschelte Penelopes Hand. »Ich stimme dir natürlich zu. Und du weißt doch, dass Maria Romanzen liebt. Schau sie dir an - sie schnäuzt sich gerade in ihr Taschentuch.« Die Gräfin Maria Sefton war eine der einflussreichsten Damen der feinen Gesellschaft Londons.
Und so gelang es Patrick tatsächlich, die schönste Frau Londons zu erobern, sie seinem besten Freund auszuspannen, sie unverzüglich zu heiraten und ungeschoren davonzukommen. Statt sie zu schneiden oder hinter vorgehaltener Hand grausame Kommentare zu flüstern, sonnte sich die feine Gesellschaft in ihrer eigenen Großzügigkeit. Patrick und Sophie waren ja so liebreizende, schöne Kinder! Liebende würden immer Liebende bleiben!
Braddon gab tapfer sein Bestes und schluckte seinen Zorn darüber hinunter, schon wieder eine geeignete Frau an die Foakes-Brüder verloren zu haben.
»Es war wie bei Romeo und Julia«, sagte er leichthin, als Lord Winkle sich auf dem Ball, der der Trauung folgte, zu ihm gesellte und fragte, wie es sich anfühle, wenn der beste Freund einem die Braut stahl. »Ich konnte ihnen doch nicht im Weg stehen, oder? Wie bei Tristan und ...« Er war sich nicht ganz sicher. Wie hießen noch mal all diese verfluchten Liebenden, die ei, in der Schule hatte lernen müssen?
»Tristan und Isolde?«, fragte Miss Cecilia Commonweal, die allgemein als Sissy bekannt war, hilfsbereit.
»Ja, genau.« Braddon lächelte sie dankbar an.
»Obwohl Tristan Isoldes Onkel war«, fügte Sissy spitzfindig hinzu, »und daher ist dieses Beispiel nicht so romantisch wie Romeo und Julia. Abelard und Eloise waren ein anderes berühmtes Liebespaar, das Sie hinzuziehen könnten, aber ich glaube, Abelard ist etwas sehr Unglückliches zugestoßen, also wäre das auch kein passendes Beispiel.«
Braddon bekam einen glasigen Blick. Sissy war gar kein schlechtes Mädchen, aber sie war schon ein bisschen älter und sprach stets merkwürdig atemlos. Vor einer Woche hätte er sie noch als Braut in Betracht gezogen, aber seine Suche war nun vorüber.
Als Braddon keine Antwort gab, fuhr Sissy fort. »Um genau zu sein, geben Romeo und Julia auch ein recht melancholisches Beispiel ab, finden Sie nicht auch, Lord Slaslow? Wenn man bedenkt, dass sie sich vergiftet haben.«
Braddon lächelte Sissy erneut an und blickte sich dann ein wenig gehetzt im Saal um. Wo war seine Mutter? Oder besser gefragt, befand sie sich im Raum? In diesem Fall sollte er besser flüchten.
Seine Mutter hatte die Nachricht von seiner gelösten Verlobung sehr schlecht aufgenommen, war auf dem Sofa in Ohnmacht gefallen und hatte nach ihrem Stärkungsmittel verlangt. Aber als er sich davonzustehlen versuchte, um sie in der Obhut seiner Schwestern zurückzulassen, war sie aufgesprungen und hatte ihn mit einem Redeschwall überschüttet und ihn an seine Pflicht erinnert, sofort zu heiraten.
Nun, er würde sich verheiraten. Nur nicht mit einem Mädchen, wie es seine Mutter für ihn im Sinn hatte. Gott sei Dank hatte er nie einen seiner Freunde eingeladen, Madeleine kennen zu lernen! Nun musste er noch schnell mit Sophie reden, bevor er unter Wahrung des Anstands den Ball verlassen konnte. Er hatte sein Möglichstes getan, um ganz London davon zu überzeugen, dass Sophie und Patrick aus Liebe geheiratet hatten. Das Problem war, dass es in der Stadt in letzter Zeit wenig Neuigkeiten gab, und angesichts der zahlreichen Klatschblätter, die täglich erschienen, stürzten sich die Reporter auf alles, worüber man schreiben konnte.
Plötzlich versteifte sich Braddon wie ein Hund, der eine Witterung aufgenommen hatte. Er hatte etwas Alarmierendes erblickt.
»Miss Commonweal.« Er verbeugte sich tief Er war von einem Experten (nämlich seiner Mutter) darin instruiert worden, und seine Verbeugungen waren so tief, dass es die Leute stets ein wenig erschreckte. Sissy sah mit einigem Interesse zu, wie sich die kahle Stelle auf seinem Hinterkopf senkte und wieder hob.
Sie legte eine behandschuhte Hand auf seinen Arm und kam seiner Entschuldigung zuvor. »Würden Sie mich zu meiner Mutter geleiten, Mylord?« Sissy wünschte ebenso wenig, Braddon zu heiraten wie umgekehrt, aber sie hasste es, alleine in einem Ballsaal stehen gelassen zu werden.
Braddon biss sich unfreiwillig auf die Innenseite seiner Lippe. »Das kann ich nicht, Miss Commonweal« sagte er schließlich, als er bemerkte, dass sie ihn überrascht anstarrte. »Ihre Mutter unterhält sich mit meiner Mutter, und ...«
Sissy schenkte ihm ein gequältes Lächeln. Sie kannte sich aus mit gereizten Müttern. Sie bezweifelte sogar, dass sich die Mutter eines älteren unverheirateten Sohns je so gereizt aufführte, wie die einer älteren unverheirateten Tochter.
Plötzlich hellte sich Braddons Blick auf. »Möchten Sie gerne einen Moment mit der Braut und dem Bräutigam plaudern? Sie haben gerade den Saal betreten.«
»Das würde mir große Freude machen, Mylord«, sagte Sissy erleichtert.
Braddon bahnte sich einen Weg durch die Menge, und ehe sie sich versah, stand sie vor Patrick Foakes, den sie kaum kannte.
»Du entschuldigst mich einen Moment, ja, Patrick?«, und mit diesen Worten entführte Braddon Sophie hinter eine große Säule.
Sissy wäre am liebsten vor Verlegenheit gestorben. Worüber zum Teufel sprach Braddon mit der Braut? Und was würde Sophies Ehemann davon halten?
Patrick besaß die Fähigkeit, eine völlig ausdruckslose Miene aufzusetzen, wenn er wollte, aber Sissy spürte dennoch, dass sie diesen Mann auf keinen Fall verärgert wollte. Sie schaute verängstigt zu ihm hoch.
»Ich habe gehört, dass Sie eine Hochzeitsreise unternehmen werden. Ich vermute, angesichts
der unfreundlichen politischen Situation auf dem Kontinent wird sie Sie nicht durch Europa führen.«
Patrick lächelte das Mädchen an, das vor ihm stand. Wie hieß sie noch? Sissy, nicht wahr? Warum zum Teufel trug sie diese albernen Federn auf dem Kopf, die bei den anderen Frauen in London schon lange nicht mehr modern waren?
»Wir segeln die Küste entlang - heute Abend brechen wir auf«, antwortete Patrick.
Sissy runzelte die Stirn. »Heute Abend? Ich hatte den Eindruck, dass Schiffe nur bei Gezeitenwechsel lossegeln können. In der Times ...«
Patrick blendete ihre Stimme einfach aus und hing seinen eigenen Gedanken nach. Was zum Teufel hat Braddon mit meiner Frau zu bereden?, fragte er sich.
Meine Frau, wiederholte Patrick im Geiste und ein berauschendes Glücksgefühl erfasste ihn. Es klang einfach wunderbar. Seine Augen glitten genussvoll über Sophies schlanken, weißen Arm das einzige, was hinter der Säule zum Vorschein kam. Sissy Commonweal sprach immer noch über die Gezeiten.
Patrick platzte beinah vor Selbstgefälligkeit. Er hatte das ganze Brimborium richtig eingefädelt. Er hatte seiner Frau vor der Hochzeitsnacht die Jungfräulichkeit genommen, so dass sie beide ungestörte Freuden vor sich hatten. Zuerst würde er ihr das Kleid von einer Schulter streifen und jeden Zentimeter ihres Arms küssen, an der Innenseite ihres Ellbogens entlang ...
Aber Patricks Plan standen zwei Dinge im Weg: Miss Cecilia Commonweals Stimme war inzwischen verstummt und er ärgerte sich immer mehr darüber, wie Braddon Sophie in Beschlag nahm. So würden sie die feine Gesellschaft Londons nicht davon überzeugen, dass Braddon sich rein gar nichts daraus machte, - dass Sophie ihm den Laufpass gegeben hatte! Worüber sprachen sie überhaupt?
Sissy schaute gequält und verlegen auf ihre pinkfarbenen Schuhe hinunter. Der ganze Saal konnte wahrscheinlich die scharfe Stimme des Grafen von Slaslow hören. Mein Gott, er schrie Lady Sophie regelrecht an. Sie hatte genau gehört, wie er sagte: »Das ist das Mindeste, was Sie für mich tun können!«
Dann bemerkte sie, dass Patrick Foakes aus seinem Tagtraum erwacht war und sie mit einem charmanten Lächeln ansah. Sicherlich hatte er Slaslows Bemerkung gehört, aber er machte nicht den Eindruck, als kümmerte es ihn.
»Würden Sie gerne tanzen?« Patrick schob eine Hand unter Sissys Arm und drehte sie in Richtung Tanzfläche.
»Nun ...« Sissy blickte unbehaglich zu Braddon und Sophie hinüber. Sie schienen völlig in ihre Unterhaltung vertieft. »Sollten Sie nicht mit Ihrer Frau tanzen? Ich bin sicher, Sie würden viel lieber mit ihr tanzen.«
Patricks Lächeln kühlte merklich ab. »Ganz und gar nicht. Ich wünsche, mit Ihnen zu tanzen.« Und ohne ein weiteres Wort schob er das lästige Mädchen auf die anderen Paare zu, die sich zu einem Reel aufreihten.
Sissy errötete. Es schockierte sie zutiefst, sich mit Patrick Foakes auf der Tanzfläche wiederzufinden. Sicherlich sahen ihnen alle anderen Gäste zu.
»Oh, du meine Güte«, flüsterte sie. »Werde ich rot?«
Patrick grinste. »Nein, sollten Sie?«
»Ja!« Sissy war völlig aufgelöst. »Ich tanze mit dem Bräutigam, und Ihr Ruf, wissen Sie, und Ihre Frau ...«
»Miss Cecilia, oder darf ich Sissy sagen?« Als sie schüchtern nickte, fuhr Patrick fort. »Nun, Sissy, in einem Jahr können wir durch den ganzen Ballsaal wirbeln und niemand wird uns auch nur einen zweiten Blick schenken.«
Sissy dachte über diese Bemerkung nach und fand sie nicht sehr tröstlich. Sie war gerade dem Blick ihrer Mutter begegnet und diese schien äußerst wütend zu sein.
»Warum in einem Jahr?«, fragte sie. Ihre Mutter predigte ihr stets, es sei die Pflicht einer Dame, die Unterhaltung aufrecht zu halten.
»In einem Jahr werden wir beide alte Eheleute sein, und jeder weiß doch, dass niemand Eheleuten beim Tanzen zusieht.«
»Ihnen schon«, platzte Sissy heraus und fügte dann hastig hinzu, »außerdem werde ich nicht verheiratet sein.«
Patrick lächelte sie an. Das unglückliche Gesicht des Mädchens hatte bei ihm ein leises Mitgefühl ausgelöst. »Doch, das werden Sie.«
»Oh nein, ich bin nie sehr gut angekommen, verstehen Sie.« Sissy war so verwirrt, dass sie ihm ihre innersten, quälendsten Gedanken offenbarte. »Ich habe mich immer in die falschen Männer verliebt, und sie waren nie gut genug, wie meine Mutter immer sagt.« Die letzte Bemerkung schob sie hastig nach, als ihr zu spät klar wurde, wie unglaublich vulgär sie klang.
Aber Patrick lachte nur. Seine Augen blickten sie so warmherzig an, dass Sissy es bis in die Zehenspitzen spürte.
»Ich gebe Ihnen einen Rat«, sagte er. »Suchen Sie sich einen jungen Mann aus, der Ihnen gefällt. Und dann schauen Sie ihm jedes Mal, wenn Sie mit ihm reden, direkt in die Augen. Egal, was er sagt, und egal, wie idiotisch es auch sein mag, sagen Sie ihm, dass er gerade einen unglaublich interessanten Gedanken geäußert hat. junge Männer sind nervös und sie haben es nicht gern, wenn man sie korrigiert.«
Sissy blickte zu Patrick auf, als sei er ein Orakel. »Glauben Sie? Meine Mutter sagt nämlich immer, dass es an mir ist, die Unterhaltung in Gang zu halten, und oft bin ich es, die das Reden alleine übernimmt.«
»Lassen Sie die Männer das Reden übernehmen«, sagte Patrick zynisch. »Männer lieben den Klang ihrer eigenen Stimme, wissen Sie. Und verraten Sie ihnen nicht, wie viel Sie wissen. Wenn Sie erst einmal verheiratet sind, können Sie den ganzen Tag Vorträge über die Gezeiten halten, wenn Sie möchten.«
Als sie am oberen Ende der Schlange ankamen, tanzten Patrick und Sissy schwungvoll über das Parkett: im Kreis herum, noch einmal, nach vorne, zurück, nach links, Schritt nach links, rechte Drehung -und dann brachte Patrick Sissy sanft vor ihrer Mutter zum Stehen.
Er verbeugte sich mit Schwung. »Miss Commonweal, dieser Tanz war mir ein Vergnügen.«
Sie knickste. »Vielen Dank, Sir.«
Patrick beugte sich näher vor und flüsterte ihr ins Ohr: »Und werfen Sie diese Federn weg, Sissy.«
Mit einem letzten Augenzwinkern war er verschwunden. Sissy starrte ihm nach und wiederholte im Geiste seine Worte. Als sie sich umwandte, lächelte ihre Mutter sie verkniffen an. Diese Lächeln verhieß nichts Gutes, machte aber mehr als deutlich, dass es zwischen Mutter und Tochter dringend eines wärmeren Umgangstons bedurfte.
»Liebste«, sagte ihre Mutter daraufhin. »Ich würde dir gerne Fergus Morgan vorstellen. Mr Morgan ist der Sohn von Squire Morgan, drüben in der Nachbargrafschaft. Er ist gerade von einer ausgedehnten Reise aus dem Ausland zurückgekehrt.«
Cecilia musterte den jungen Mann, bevor er sich vor ihr verbeugte. Er hatte angenehme blaue Augen, war ein wenig kahl auf dem Kopf und wirkte sehr nett.
»Ich habe gehört, Sie sind eine literarische Expertin«, sagte Fergus ein wenig nervös.
»Das ist sie mit Sicherheit«, mischte sich ihre Mutter ein. »Cecilia weiß alles über Literatur!«
»Ich fürchte, meine Mutter übertreibt«, sagte Cecilia liebenswürdig und blickte Fergus direkt in die Augen.
Sie war außerordentlich glücklich und bereit, jedermann zu helfen. »Ich wäre entzückt, wenn ich Ihnen helfen könnte«, versicherte sie ihm.
Braddon entspannte sich und verlor ein wenig das Aussehen einer ängstlichen Bulldogge. »Es geht um Folgendes, Sophie. Ich muss sofort heiraten.«
Sie nickte und ihre Augen waren voller Sympathie.
»Nun, ich habe eine Frau gefunden, die ich gerne heiraten würde.« Er schluckte. Das war wirklich knifflig. »Das Problem ist, Maddie - Madeleine - ist keine Dame.«
Sophie blickte ihn einen Moment lang perplex an. Dann weiteten sich ihre Augen.
»Nein!«, platzte es aus Braddon heraus. »Sie ist kein leichtes Frauenzimmer, Sophie. Um Himmels Willen!«
Sophie hätte beim Anblick von Braddons schockiertem Gesichtsausdruck beinah laut aufgelacht.
»Sie ist in ihrem Inneren sehr wohl eine Dame, Sophie. Und ich werde niemanden heiraten außer ihr.« Sein Ton duldete keine Widerrede. »Ich hätte bei Ihnen bis zum bitteren Ende gehen können, das wissen Sie, Sophie. Aber ich werde das alles nicht noch. einmal durchmachen. Ich will Madeleine heiraten.«
Sophie blinzelte, als sie hörte, wie nüchtern Braddon ihre Verlobung beschrieb. Zumindest musste sie sich keine Gedanken darüber machen, dass sie seine Gefühle verletzt hatte, als sie ihn abservierte. »Wer ... wer ist sie?«
»Das ist schade«, erwiderte Fergus und auf seiner Stirn tauchte einen kleine Falte auf. »Ich hatte nämlich gehofft, einen Poesieklub zu gründen. Ich bin gerade aus Deutschland zurückgekehrt, und dort sind unter den jüngeren Leuten Poesieklubs der letzte Schrei.«
»Oh, was für eine außerordentlich interessante Idee!«, sagte Sissy mit leuchtenden Augen. Es war schön, dass sie tatsächlich dieser Meinung war.
Fergus' Stimmung hob sich merklich. »Darf ich Sie zum Diner begleiten, Miss Commonweal? Nach diesem Tanz, meine ich?«
Sissy lächelte und konnte sich gerade noch verkneifen, auch das Diner als außerordentlich interessante Idee zu bezeichnen. »Sehr gerne. Vielleicht können Sie mir mehr über Ihren geplanten Poesieklub erzählen.«
Auf der anderen Seite des Saals hinter der Säule hatten Braddon und Sophie tatsächlich eine Art Auseinandersetzung, wie Sissy bereits vermutet hatte.
Braddon hatte die Unterhaltung mit seinem üblichen Charme begonnen. »Sophie«, sagte er, »Sie müssen mir genau zuhören.«
Sophie blickte Braddon überrascht an. Während ihrer kurzen Verlobungszeit hatte er sie stets förmlich angesprochen, zumindest, wenn sie in der Öffentlichkeit waren. Und jetzt war sie einfach nur »Sophie«?
Es entstand eine kurze Pause. »Ich brauche Ihre Hilfe«, sagte er etwas weniger vertraulich.
Sophie lächelte ihren ehemaligen Verlobten an.
»Ihr Vater heißt Vincent Garnier«, erwiderte Braddon. Seine Augen flehten sie um ihr Verständnis an. »Garnier hat Madeleines Reputation geschützt, als wäre sie eine echte Dame«, sagte er. »Niemand in London kennt sie, Sophie. Das heißt, niemand außer mir. Sie kamen nach den Schwierigkeiten in Frankreich herüber und Madeleine spricht noch kein korrektes Englisch.« Er holte tief Luft. »Ihr Vater trainiert und verkauft Pferde.«
Sophies Herz sank. »Sie können doch nicht die Tochter eines Pferdehändlers heiraten, Braddon.«
Aber Braddon lächelte. »Das werde ich auch nicht. Ich werde die Tochter eines französischen Aristokraten heiraten, der 1793 auf der Guillotine starb.«
Sophie starrte ihn eine Augenblick lang nur fassungslos an. »Oh nein, Braddon, das können Sie nicht!«
»Doch, das kann ich«, erwiderte er unnachgiebig. »Und Sie werden mir dabei helfen, Sophie.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das ist das Mindeste, was Sie für mich tun können! Sie haben die Verlobung gelöst, ohne auch nur zu fragen, und das einen Tag, nachdem Sie mich dazu überredet hatten, mit Ihnen nach Gretna Green durchzubrennen. Wissen Sie, wie ich jetzt dastehe?« Braddons Ton verriet, wie schlecht behandelt er sich fühlte.
Sophie spürte, wie ihr eine verlegene Röte in die Wangen stieg. »Es tut mir Leid, Braddon«, sagte sie ruhig. »Aber ich kann - was zum Teufel könnte ich tun, damit Sie diese ... diese Madeleine heiraten dürfen?«
»Sie werden sie unterrichten«, erwiderte er. »Sie werden sie in eine Dame verwandeln, Sophie. Sie kennen all die seltsamen Feinheiten der Etikette. Sie bringen sie Madeleine bei, und sie wird dann zu einem Ball gehen und vorgeben, eine französische Aristokratin zu sein. Ich werde ihr dort begegnen und sie heiraten, bevor die Leute lange darüber nachdenken können.«
»Sie sind nicht ganz bei Trost, Braddon«, sagte Sophie und starrte ihn fasziniert an. »Dieser Plan wird nie funktionieren. Es ist unmöglich, die Tochter eines Pferdehändlers in ein Mitglied der französischen Aristokratie zu verwandeln.«
»Ich wüsste nicht, was dagegen spricht.« Braddons Gesicht nahm den sturen Ausdruck an, den seine Familie so fürchtete. »Ich wüsste nicht, was so schwierig daran ist, sich wie eine Dame zu benehmen. Schließlich ist Madeleine Französin, also wird niemand erwarten, dass sie sich wie ein englisches Mädchen verhält. Es gibt hier bei uns jede Menge französische Aristokraten und ich wette, die Hälfte von ihnen sind Schwindler.«
Sophie hatte ihren Vater über das gleiche Problem lamentieren hören. »Damit wäre immer noch nicht das Problem gelöst, Ihre Freundin Madeleine, nicht wahr? - in eine Dame zu verwandeln.«
»Sie ist eine Naturbegabung«, sagte Braddon voller Optimismus. »Es wird ganz leicht, Sophie. Erzählen Sie ihr einfach ein paar Dinge über Fächer und Kleider und so etwas. Das schaffen Sie schon«, drängte er sie. »Und Sie schulden mir Ihre Hilfe. Sie haben mich wieder den Wölfen vorgeworfen. Ich kann diese ganze Scharade nicht noch einmal durchmachen; einer Frau einen Antrag machen, die mir keinen Pfifferling bedeutet.«
»Ich habe mir schließlich nicht das Bein gebrochen«, erwiderte Sophie und warf einen misstrauischen Blick auf Braddons offensichtlich gesundes Bein.
Er schaute sie nervös an. »Je weniger über die besagte Nacht gesagt wird, desto besser.«
Schließlich trennten sie sich und Braddon gab ihr noch eine letzte Bemerkung mit auf den Weg. »Ich werde schon einmal mit Madeleine anfangen. Sophie«, sagte Braddon und seine Hundeaugen sahen sie flehend an. »Ich werde ihr beibringen, was ich weiß, aber das beschränkt sich auf die Ermahnungen meiner Mutter, mit denen sie all die Jahre meine Schwestern gequält hat. Sie müssen mir einfach helfen.«
Patrick bahnte sich geschickt einen Weg durch den Ballsaal auf die Säule zu, an der er seine Frau und Braddon Chatwin zurückgelassen hatte. Immer wieder wurde er von Gästen angehalten, die ihm ihre Glückwünsche aussprechen wollten. Er hatte Sophie beinah erreicht, als Lord Breksby vor ihm auftauchte wie ein Kistenteufel.
»Ich muss Ihnen gratulieren, Mylord«, sagte Breksby, »und Ihnen meine Dankbarkeit aussprechen. Ich habe gehört, Sie unternehmen eine kleine Reise an der Küste entlang. Ich vermute, Sie werden hin und wieder ein Auge auf die Küste werfen.«
Patrick verbeugte sich. »Mit Vergnügen«, murmelte er.
»Ich freue mich schon darauf, nach Ihrer Rückkehr einen Bericht über die Befestigungsanlagen zu erhalten«, sagte Breksby freundlich. »Ich hoffe, Ihre Eheschließung hat Ihre Pläne, im kommenden Jahr auf den Kontinent zu reisen, nicht umgestoßen?«
Patrick versteifte sich angesichts der Andeutung, dass er unter dem Pantoffel stand, noch bevor sein Hochzeitstag vorüber war. »Natürlich nicht«, erwiderte er so lässig er konnte.
Breksby senkte die Stimme. »Dann muss ich mit Ihnen sprechen, sobald Sie von Ihrer Hochzeitsreise zurück sind, und zwar über das Geschenk, das ich schon erwähnte.«
Patrick starrte ihn einen Augenblick verständnislos an. Ach ja, das Zepter. Patrick verbeugte sich erneut. »Ganz zu Ihren Diensten.«
Breksby rieb sich die Hände. »Gut, sehr gut. Wir hatten gerade ein wenig Ärger damit. Nur eine kleine Ungelegenheit. Aber ich dachte, ich sollte es Ihnen sagen.«
Worüber zum Teufel sprach der alte Trottel? Wenn sie nicht genügend Rubine zusammenbekamen, um Sie an dieses verdammte Zepter zu stecken, was ging es ihn an? Patrick verbeugte sich erneut. »Ich werde Sie aufsuchen, sobald ich zurück bin«, versprach er.
Als Patrick endlich die Säule erreicht hatte, waren Sophie und Braddon verschwunden. Patrick stand einen Moment da und suchte in der Menge nach ihnen, wobei er die neugierigen Blicke der Klatschmäuler bewusst mied. Sophie war nirgends zu entdecken. In dem Moment tauchte seine Schwägerin an seiner Seite au£
»Sophie macht sich gerade etwas frisch«, sagte Charlotte keck und lächelte ihn an.
Er spürte einen Anflug von Verärgerung. War er so leicht zu durchschauen? Ach dachte, sie wäre mit meinem Trauzeugen durchgebrannt«, sagte er sarkastisch.
Charlottes Lächeln vertiefte sich. »Ach ja, der Eifer eines frisch vermählten Ehemanns.« Sie lachte. Ach könnte wohl eine Stunde aus dem Ballsaal verschwinden und Alex würde meine Abwesenheit nicht einmal bemerken!«
»Darauf würde ich nicht wetten«, knurrte ihr Mann in gespielter Wut, als er neben ihr auftauchte und einen Arm um ihre Taille legte.
»Oh je«, stöhnte Patrick. »Da kommt Onkel Richard.«
Ihr Onkel hatte sein Bischofsgewand abgelegt und sich zu Ehren der Vermählung seines Neffen prächtig ausstaffiert. In der feierlichen geistlichen Robe wirkte Richard Foakes seinem Amt entsprechend würdevoll, aber mit seiner kirsch- und silberfarbenen Weste und den Aufschlägen sah er aus wie ein weiß-goldener Stutzer.
»Trägt er tatsächlich ein Cachenez?«, flüsterte Charlotte voller Ehrfurcht.
»Jetzt fehlt nur noch ein Zweispitz, und er sieht aus wie ein Stutzer von vor fünfzig Jahren«, erwiderte ihr Mann lachend.
Patrick ging, gefolgt von Alex und Charlotte, auf die Türen des Ballsaals zu. Aber bevor die drei dort ankamen, tauchte Sophie hinter Bischof Foakes im Türrahmen auf. Zu Patricks geheimer Freude begrüßte sie seinen Onkel mit einem charmanten und natürlichen Lächeln. Als Patrick sie erreichte, grinste der Bischof wie ein Kater, der am Sahnetopf genascht hat, und schmunzelte vor sich hin.
»Ja, in der Tat, meine Liebe. Mein Gott, als ich noch jung war, stand für mich als dritten Sohn fest, dass ich eine Laufbahn als Geistlicher einschlagen würde. Aber ich weiß noch, dass Fremde mich mindestens für ein Mitglied des Parlaments hielten, und einmal wurde ich mit einem venezianischen Grafen verwechselt.« Der Bischof tätschelte Sophies Hand und legte dabei eindeutig mehr Begeisterung an den Tag, als er ihr in der Kirche entgegengebracht hatte. »Sie sind ein bezauberndes Mädchen, ein ganz bezauberndes Mädchen, meine Liebe. Ich bezweifle nicht, dass Sie und der junge Patrick sehr glücklich miteinander werden.«
Die Klatschmäuler zu ihrer Linken bemerkten sehr wohl die Bereitschaft der Foakes-Familie, die Verbindung gut zu heißen. Aber Lady Sophie war schließlich eine reiche Erbin, und es wäre eine merkwürdige Familie, wenn sie sie nicht begeistert in ihren Reihen aufnähme. Wäre jedoch etwas Anrüchiges an der Verbindung, würde der Bischof von Winchester nicht so fröhlich wirken.
»Denn es würde ein schlechtes Licht auf den Bischof werfen, wenn in sieben Monaten ein Kind geboren wird, nicht wahr?« Lady Skiffing war für das Intrigen schmieden geboren und erst zufrieden, wenn sie den guten Ruf von jemandem in der Luft zerreißen konnte, den sie nur einen Augenblick zuvor mit äußerster Freundlichkeit begrüßt hatte.
Sarah Prestlefield hielt sich an ihre Entscheidung, Penelopes Überzeugung zu unterstützen, dass die Vermählung romantisch und nicht skandalträchtig war. »Nur außergewöhnlich missmutige Menschen würden so etwas Gemeines andeuten«, verkündete sie großartig. »Lady Sophie ist eine wahre Liebesheirat eingegangen, und obwohl man das unter Leuten von Format nicht sehr häufig sieht«, (eigentlich nie, fügte sie im Stillen hinzu), »möchte doch niemand von uns andeuten, dass die lieben Kinder nicht aus den reinsten Beweggründen heiraten.«
Obwohl sie das sehr bezweifelte, konnte Lady Skiffing Lady Prestlefields Bemerkung nichts mehr entgegensetzten und das wusste sie auch. Daher wechselte sie das Thema. »Haben Sie gehört, dass Mrs Yarlblossom, diese rothaarige Witwe aus Chiswick, damit prahlt, einen indischen Prinzen zum Verehrer zu haben?«
Sarah Prestlefield war fasziniert. »Meinen Sie dieses rothaarige Frauenzimmer, das sich sechzehn Schoßhunde hält?«
Als Sophie aufblickte, stand Patrick plötzlich neben ihr. In seinen Augen lag solch ein berauschendes Versprechen, dass sie nervös zu dem Bischof hinübersah, ob auch er die Nachricht in Patricks Blick bemerkt hatte.
»Mach dir keine Sorgen wegen Onkel Richard«, sagte Patrick gedehnt und trat so nah an sie heran, dass sein Atem ihr Haar streifte.
Sophie stieg eine entzückende Röte in die Wangen. Patricks Hand glitt von ihrer Hüfte zu ihrer Taille hinauf Würde er immer diese Wirkung auf sie haben? Schon die einfache Berührung seiner Hand machte ihr weiche Knie und schickte eine süße Schwäche durch ihren Körper.
Etwas in Sophies Augen verursachte ein heißes Brennen in Patricks Lenden.
»Zeit zu gehen, Liebling«, sagte er mit rauer Stimme.
Sophie zuckte zusammen. »Gehen?« Ihre Augen weiteten sich. Sie hatte natürlich gewusst, dass sie und Patrick den Ball zusammen verlassen würden. Ihre Koffer waren schließlich schon am Morgen aus dem Haus getragen worden, und wenn ihre Zofe ihre Angst vor dem Wasser überwunden hatte, befand sie sich ebenfalls an Bord der Lark. Denn, so hatte Patrick ihr mit einem anzüglichen Lächeln erzählt, das Boot würde zu sehr früher Stunde lossegeln, noch bevor sie das Bett verließen.
Aber Sophie hatte sich nicht konkret ausgemalt, den Ball zu verlassen, mit Patrick alleine in eine Kutsche zu steigen und mit ihm das Bett zu teilen!
»Oh, wir können noch nicht gehen«, sagte sie hastig. »Ich habe kaum ein Wort mit deinem Onkel gesprochen.« Sie brachte sich mit einer abrupten Bewegung ihre Hüfte aus der Reichweite ihres spöttisch lächelnden Gatten und trat neben den Bischof, der sich eifrig mit Charlotte unterhielt.
»Seit ich diese neue Diät befolge, sehe ich äußerst gesund aus, und Sie werden mir wohl zustimmen, dass ich eine angenehme Gesichtsfarbe habe. Doctor Read erlaubt mir am Tag nur eine Tasse Schokolade, drei Portionen Haferschleim mit Wasser und einen gerösteten Apfel, den ich eine Stunde vor dem Abendessen zu mir nehmen soll.«
In Sophies Kopf wirbelten elektrisierende Bilder dessen umher, was Patrick mit ihr tun würde, wenn sie endlich miteinander alleine waren.
Der Bischof lächelte sie wohlwollend an. »Bitte, lassen Sie es mich wissen, wenn Sie Fragen bezüglich meiner Diät haben, meine Liebe«, sagte er. »Ich muss Ihnen sagen, dass Doctor Read für seine wunderbaren Verschreibungen langsam recht berühmt wird!«
»Aha ...« Sophie wollte keine Frage einfallen, denn sie konnte nur an Patricks warmen Körper denken, den sie hinter sich fühlte. »Welche Apfelsorte essen Sie denn, Sir?« Eine Hand spielte mit den Locken in ihrem Nacken.
»Eine sehr gute Frage, meine Liebe! Ich bevorzuge einen Golden Runnet. Ich habe meinen Diener instruiert, den Apfel auf einem sauberen Ziegel zu rösten, der mit Quellwasser abgespült wurde.«
Patricks tiefe Stimme mischte sich ein. »Onkel Richard, Sie werden meine Braut und mich entschuldigen müssen. Es ist Zeit für uns, an Bord zu gehen.«
»An Bord? An Bord eines Schiffes?« Richard sah aus, als würde ihm übel. »Erzähl mich nicht, dass du das arme Kind mit auf hohe See nimmst?«
»Wir unternehmen eine Reise an der Küste entlang, Onkel Richard.«
»Ich nehme doch an, dass ihr euch dicht vor der Küste halten werdet. Sehr schön. Eine Dame wird sich dennoch auf See wie eine Ente an Land fühlen. Ich fürchte, Ihnen wird während der gesamten Reise speiübel sein. Versuchen Sie es mit einem Apfel, meine Liebe«, sagte er tröstend zu Sophie. »Schicken Sie nach ein paar Golden Runnets, und zwar noch heute Abend, bevor Sie aufbrechen. Patrick! Du musst morgen früh als Erstes ein paar Golden Runnets besorgen. Vergiss nicht, nach welchen zu schicken.«
Über den Kopf seines beleibten Onkels hinweg begegnete Patrick dem spöttischen Blick seines Bruders.
»Das werde ich, Onkel Richard«, antwortete er ernsthaft. »Ich bin sicher, dass es Sophies Magen durch einen gerösteten Apfel gleich besser gehen wird.«
Der Bischof war noch nicht fertig. »Möglicherweise befindet sich kein passender Ziegel an Bord, Patrick. Du musst noch heute Nacht jemanden losschicken, einen Ziegel zu besorgen. ja, in der Tat. Du machst dich besser sofort auf den Weg, damit du vor Tagesanbruch noch all diese Dinge erledigen kannst.«
Trotz ihrer Nervosität musste Sophie lächeln. Onkel Richard war ebenso geistesabwesend wie sie, nur beschäftigten sich seine Gedanken mit einem ganz anderen Appetit als ihre.
»Meine Mutter!«, rief sie plötzlich und blickte sich ein wenig verzweifelt im Ballsaal um.
Patrick zog ihren Arm unter seinen. »Sie steht an der Tür, Sophie, und wartet darauf, sich von dir zu verabschieden.«
Sophie holte tief Luft und begegnete Charlottes fröhlichem Blick. Charlotte umarmte sie liebevoll und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Sophie trat einen Schritt zurück. »Ich konnte dich nicht verstehen, Charlotte.«
Charlotte beugte sich näher heran und wiederholte ihre Worte. Sophie wurde feuerrot, brachte jedoch ein Nicken zu Stande.
»Was zum Teufel hast du Sophie gesagt?«, fragte Alex sie, als sie dem frisch vermählten Paar hinterherschauten, wie es zur Tür ging.
Charlotte wandte sich ihrem Mann zu und in ihren Augen loderte ein sinnliches Verlangen auf.
»Oh«, sagte Alex und seine Stimme klang plötzlich viel tiefer. »Vielleicht solltest du es mir ebenfalls ins Ohr flüstern?«
Charlotte nickte mit schelmischer Miene.
Als zum Menuett aufgespielt wurde, zog Alex seine Frau an sich und sie verfielen in den langsamen, graziösen Rhythmus des Tanzes. Nach einer Sekunde legte Charlotte den Mund an das Ohr ihres Mannes und flüsterte ihm etwas zu.
»Was!«, entfuhr es ihm lauter, als er beabsichtigt hatte.
»Glaubst du, das war zu indiskret?«
Alex verbiss sich ein Lachen. »Natürlich nicht, Liebling. Ich bin überzeugt, dass jede Braut diesen Ratschlag erhalten sollte.« Er schwieg einen Moment. »Wenn du mich entschuldigst, dann werde ich jetzt einen Aufruhr unter den Klatschbasen anrichten und meine Frau mitten auf der Tanzfläche küssen.« Charlotte erwiderte nichts, sondern antwortet ihm mit einer leichten Neigung des Kinns und einem Funkeln in den Augen.
Als Sophie und Patrick die Türen zum Ballsaal erreichten, warteten ihre Mutter und ihr Vater dort auf sie.
Sophie machte feierlich einen Knicks vor ihren Eltern. Eloise schaute auf den goldgelockten Kopf hinunter, der sich vor ihnen verbeugte, und ihre Augen schwammen in Tränen.
»Ma fille«, sagte sie und verfiel ins Französische, während sie Sophie in ihre Arme zog. »Sois heureuse, ma chére! Je te souhaite tout le mieux pour ta vie mariée ...«
»Ich werde glücklich sein, Maman«, versprach Sophie.
Ihr Vater schloss sie liebevoll in die Arme und gab Patrick anschließend fest die Hand. »Passen Sie auf unsere kleine Sophie auf«, sagte er. George sah ein wenig verkniffen aus um die Augen, aber ansonsten wirkte er so jovial als würde Sophie nur zu einem Picknick in den Hyde Park aufbrechen.
Sophie küsste ihn auf die Stirn. »Keine Sorge Papa. Mir geht es gut.«
Als sie und Patrick durch die Tür verschwanden, schluchzte Eloise auf. Überrascht legte George ganz automatisch einen Arm um seine weinende Frau.
»Es wird ihr gut gehen, Eloise«, sagte er unbehaglich. »Kein Grund zur Sorge. Foakes ist ein solider, guter Mann.«
Eloise schubste ihn von sich und steuerte blind vor Tränen auf das Vorzimmer des Ballsaals zu.
George folgte ihr in einen Salon, der vom Korridor abging. Tränen strömten ihr über das Gesicht. George wurde das Herz schwer; er hatte seine Frau noch nie so weinen sehen.
Er nahm ihre Hände in die seinen. »Was ist denn, Liebste?«
Eloise schluchzte erneut auf. »Das verstehen Sie nicht, sie ist alles, was ich habe!«
George schwieg und einen Moment lang hörte man nur das Schluchzen seiner Frau. Dann zog er ihren schlanken Körper an sich und drückte ihren Kopf an seine Brust.
»Du hast mich, Eloise.«
Als seine Frau nur den Kopf schüttelte, wiederholte er seine Worte. »Du hast mich, Eloise. Du hattest mich
Aber erst, als Eloise den Kopf hob und ihn mit tränenverschleierten Augen ansah, begriff sie, was er gesagt hatte.
Als sie den Mund zu einer Erwiderung öffnete, legte George seine Lippen auf ihre und erstickte ihren Protest mit einem Kuss. Dann sagte er mit vor Leidenschaft heiserer Stimme: »Nimm mich zurück, Eloise, bitte, nimm mich zurück.«